Bundesweiter Protesttag
10. Juni 2023Die Jury hat entschieden: Die Initiative „Demenzfreundliche Apotheken in Bayern“ bekommt den diesjährigen 1A-Award. Stellvertretend werden dafür die beiden Apotheker, Dr. Jens Schneider und Sebastian Lenhart, ausgezeichnet.
Dr. Jens Schneider, Apotheker im Ruhestand, Ex-Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Augsburg und pflegender Angehöriger erkannte 2009 die wichtige Rolle der Apotheke in einem Netzwerk gegen Demenz. Sebastian Lenhart übernahm später Schulungen zum Projekt und führte die Initiative weiter. Inzwischen sind über 300 Apotheken zertifiziert.
Ein Interview mit den Gewinnern.
Heute steht das Thema Demenz mitten in der Gesellschaft – damals auch schon?
Da war es tatsächlich noch ein Tabuthema. Aber auch heute wird es erst relevant, wenn man persönlich oder als Angehöriger betroffen ist. Das Thema war weniger in der Öffentlichkeit. Damals war es ein individuelles Schreckgespenst – die Diagnose wurde als Verlust des „normalen“ Lebens verstanden und „schlimmer als der Tod“.
Was genau macht eine „demenzfreundliche Apotheke“ aus?
Das Verständnis für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Ein einfühlsamer Umgang, konsequente pharmazeutische Betreuung bei wichtigen Problemfeldern. Wir übernehmen auch eine Wegweiser-Funktion zu Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen.
Gibt es Kooperationspartner wie Pflegedienste oder Ärzte, die das Projekt unterstützen?
Die Kooperationspartner sind lokal sehr unterschiedlich, umfassen aber neben Pflegediensten und Ärzten auch Beratungsstellen, Alzheimer-Gesellschaften, Pflegeeinrichtungen, Hospizdienste und Ergotherapeuten.
Wie baut man konkret ein lokales Netzwerk auf?
In vielen Fällen existiert schon ein lokales Netzwerk, in dem Apotheken immer willkommen sind. Anrufen und ein persönliches Treffen ausmachen. Anders geht’s nicht.
Hatten Sie von Anfang an das Zielbild vor Augen oder hat es sich über die Jahre entwickelt?
Die Apotheke im Netzwerk Demenz entwickelt sich weiter mit neuen Aufgaben, die sich aus aktuellen Entwicklungen in der Demenzforschung ergeben. Jedes Netzwerk hat andere Ideen oder Schwerpunkte. Viele Angebote zur Demenz lassen sich gut in das Netzwerk integrieren.
Wie stark wird auf persönliche, einfühlsame Beratung Wert gelegt, und gibt es spezielle Beratungsräume?
Das ist ein wichtiger Bestandteil der Schulung und wird immer in einem geschützten Umfeld wie dem Beratungsraum durchgeführt. Man findet immer eine Lösung, und wenn es das Büro des Apothekenleiters ist.
Wie werden Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen über das Angebot informiert?
Demenzfreundliche Apotheken erkennt man an dem Aufkleber des Projektes, außerdem gibt es einen Internetauftritt des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheitswesen der Bayerischen Landesapothekerkammer (WIPIG), auf den auch z.B. die Fachstelle für Demenz und Pflege oder die Apothekerkammer verlinkt. Es gibt auch Flyer für Interessierte in der Apotheke.
Welche Herausforderungen treten im Alltag auf?
Sensibilität bei Betroffenen ist besonders wichtig, aber auch das Erkennen von Überforderung von pflegenden Angehörigen und der einfühlsame Hinweis auf Hilfsangebote. Auch die Demenzerkrankten werden mehr. Die Arbeitsbelastung in den Apotheken ist enorm und steigt stetig. Häufig fehlt daher die Zeit, sich in Projekten zu engagieren.
Wie war/ist die Zusammenarbeit mit der Landesapothekerkammer Bayern?
Das WIPIG war von Anfang an dabei. Es hat nach dem Modellprojekt in Augsburg die bayernweite Verbreitung sehr erfolgreich umgesetzt. Es übernimmt die Koordination und Evaluation der teilnehmenden und interessierten Apotheken, organisiert auch die fachlichen Schulungen hierzu.
Wie reagieren Angehörige von Menschen mit Demenz auf das Angebot?
Häufig hören wir die Aussage: „Ach, hätte ich das nur früher gewusst!“, oder „Warum habe ich diese Unterstützung nicht schon längst in Anspruch genommen?“ Die Menschen sind häufig erleichtert, dass man ihnen eine Art Landkarte der Hilfsangebote zeigen und erklären kann. Manche kommen dann wieder mit konkreten Fragen zur Medikation.
Wie wird das Projekt finanziert?
Finanziert wird es von der Bayerischen Landesapothekerkammer für deren Mitglieder in den bayerischen Apotheken. Viele Teil-Projekte innerhalb der Netzwerke werden auch von den lokalen Organisatoren selbst getragen.
Welche Rückmeldungen gibt es von den Apothekenmitarbeitern selbst?
Die Kollegen freuen sich, bei einem weiteren Thema „gut aufgestellt“ zu sein. Pharmakotherapeutisch kann man leider nicht viel ausrichten gegen die Erkrankung – da ist es umso wichtiger, Partner in den anderen Bereichen zu haben.
Was sind Ihre nächsten Meilensteine?
Ziel ist, die demenzfreundlichen Apotheken in Bayern flächendeckend zu installieren und noch enger miteinander und unseren Partnern zu verknüpfen. Die Versorgungslandschaft ist sehr dynamisch, wir möchten diese Ressourcen besser nutzen.
Welche Wirkung hat das Projekt auf die Stigmatisierung von Demenz in der Gesellschaft?
Es ist noch ein weiter Weg, bis das Stigma Demenz geheilt ist. Wir können mit jedem Gespräch, jedem Projekt, einen kleinen Beitrag dazu leisten. Aufklärung hilft den Angehörigen von Patienten mit Demenz, besser mit dem Thema umzugehen.